TJUTSCHEW: ICH VERGESSE NICHT DIE GOLDENE ZEIT / Я ПОМНЮ ВРЕМЯ ЗОЛОТОЕ
Я помню время золотое, Я помню сердцу милый край. День вечерел; мы были двое; Внизу, в тени, шумел Дунай.
И на холму, там, где, белея, Руина замка вдаль глядит, Стояла ты, младая фея, На мшистый опершись гранит.
Ногой младенческой касаясь Обломков груды вековой; И солнце медлило, прощаясь С холмом, и замком, и тобой.
И ветер тихий мимолетом Твоей одеждою играл И с диких яблонь цвет за цветом На плечи юные свевал.
Ты беззаботно вдаль глядела… Край неба дымно гас в лучах; День догорал; звучнее пела Река в померкших берегах.
И ты с веселостью беспечной Счастливый провожала день; И сладко жизни быстротечной Над нами пролетала тень.
Ich vergesse nicht die goldene Zeit, Und nicht das Land, das dem Herzen lieb war. Der Tag neigte sich zum Abend; wir waren zu zweit; Unten, im Schatten, rauschte die Donau.
Und auf dem Hügel, dort, wo, bleich schimmernd, Die Schlossruine in die Ferne blickt, Standest du, junge Fee, Auf moosbewachsenen Granit gelehnt.
Dein Kinderbein berührte Uralten Trümmerhaufen; Und die Sonne zögerte beim Abschiednehmen Von Hügel, Schloss und von dir.
Ein leiser Wind spielte flüchtig Mit deinem Kleid Und wehte von den wilden Apfelbäumen Blüte für Blüte auf deine jungen Schultern herab.
Du blicktest sorglos in die Ferne… Der Himmelsraum erlosch dunstig in den Sonnenstrahlen; Der Tag verglühte; klangvoller sang Der Fluss in seinen verblassten Ufern.
Und sorglos-heiteres Geleit Gabst du dem glücklichen Tag; Und süß flog über uns hinweg Der Schatten des schnell dahinströmenden Lebens.
Das Gedicht preist, vermischt mit Wehmut, blühende Jugend, die uns die Weitergabe des Lebens verspricht und so über Altern, Verfall, über Vergänglichkeit überhaupt, hinwegtröstet. Symbol für Letzteres sind die Schlossruine, das Moos und der Fluss, der an das Verfließen der Zeit erinnert, daran, dass das Leben schnell dahinströmt, „быстротечная“ ist – und diese Erinnerung dringt hörbar in die Idylle: „шумел Дунай / die Danau rauschte“. Doch über diese Aspekte, die als memento mori an Altern und Verfall gemahnen, tröstet das noch sehr junge Mädchen als Verkörperung blühenden Lebens hinweg. Damit das Leben weitergeht, muss dieses Mädchen entjungfert und zur Mutter gemacht werden, wofür als Symbole Wind und Apfelblüten stehen. Das Pflücken einer Blume ist ein archetypisches Symbol für Entjungferung, das zum Beispiel der Etymologie unseres Fremdworts deflorieren zugrunde liegt (1) oder Goethes Gedicht Heidenröslein:
Sah ein Knab ein Röslein stehn, Röslein auf der Heiden, War so jung und morgenschön, Lief er schnell, es nah zu sehn, Sah’s mit vielen Freuden. Röslein, Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden.
Knabe sprach: ich breche dich, Röslein auf der Heiden! Röslein sprach: ich steche dich, Das du ewig denkst an mich, Und ich will’s nicht leiden. …
Und die mich trug im Mutterleib, Und die mich schwang im Kissen, Die war ein schön frech braunes Weib, Wollte nichts vom Mannsvolk wissen.
Sie scherzte nur und lachte laut, Und ließ die Freier stehen. Möchte lieber sein des Windes Braut, Denn in die Ehe gehen!
Da kam der Wind, da nahm der Wind Als Buhle sie gefangen: Von dem hat sie ein lustig Kind In ihrem Schoß empfangen.
Was von Wind und Apfelblüten symbolisiert wird, ist also erotischer Natur, und zu dieser erotischen Stimmung passt auch, dass der Wind mit dem Kleid des Mädchens spielt. Ein Mädchen, das entjungfert, zur Frau gemacht wird, verliert ihren Jugendreiz, das, was Goethe in seinem Heidenröslein Morgenschönheit nennt, deshalb möchte das lyrische Ich das Verströmen der Zeit, das auch dieses kindlich-unbekümmerte Geschöpf zur Mutter machen wird, aufhalten – daher der Gedanke, dass die Sonne (mit der sich das lyrische Ich identifiziert), damit zögert, Abschied von diesem Kindheitsidyll zu nehmen und unterzugehen.
1) Es kommt von lateinisch de-flor-are, worin flos, floris „Blume, Blüte“ steckt; Grundbedeutung war „einem Mädchen die Blume rauben“.