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DER WULFF IM DORN oder "FREMDSCHÄMEN ZEIGT INTAKTE MORAL"

Der Jude im Dorn ist ein antisemitisches Märchen, das in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (KHM 110) enthalten ist. Ein deutscher Knecht, der angeblich naiv, rechtschaffen und nicht aufs Geld aus ist, also ein rechter Unschuldsengel  und Opfer von Ausbeutern, macht trotzdem etwas ausgesprochen Unromantisches: Er schießt auf einen Singvogel, der im Wipfel eines Baumes sitzt. Warum tut er so etwas? Weil ein böser Jude ihn dazu verführt hat. Der getötete Vogel fällt unten am Baum in ein Dorngestrüpp, in das der Jude gierig hineinkriecht, um sich das Schnäppchen zu holen. Da spielt der Knecht auf seiner Zauberfiedel auf, so dass der Jude im Busch gefangen tanzen muss und sich gehörig an den Dornen verletzt. Aus dem Märchen spricht uralter vorchristlicher Baum- und Waldkult, das archaische Schuldgefühl des Menschen, der sich die jungfräuliche Natur untertan macht, sich am Wald vergeht, indem er Bäume rodet oder Tiere des Waldes jagt und deshalb Strafe verdient. Beispiele sind das Schicksal des antiken Jägers Aktaion, der von seinen eigenen Jagdhunden zerrissen wird, nachdem Diana, Göttin der urwüchsigen Natur und Verkörperung des vom ihm heimgesuchten Waldes, ihn in einen Hirsch verwandelt hat. Oder der britische Seemann in Coleridges The Rime of the Ancient Mariner, der einen Albatros tötet und dafür samt Schiff und Besatzung verflucht wird. Er tat dies zwar nicht in einem Wald, aber in der Antarktis, also ebenfalls einer von Menschenhand unberührten Gegend der Mutter Erde. Auch in Grimms antisemitischem Märchen erfolgt Strafe für den Tod des Vogels, der im Baumwipfel lebte und von der Dornenhecke umschlossen wird, als ob die Natur ihr totes Kind vor dem gierigen Juden bergen möchte. Der Jude ist also der Böse und der Knecht der Gute, der für sein gutes Herz drei Wünsche offen hatte und sich als zweites die Zauberfiedel wünschte, mit der er jeden zum Tanzen zwingen kann. Als erstes aber wünschte er sich sein zauberkräftiges Vogelrohr, mit dem sich jeder Vogel vom Himmel holen lässt, also steckt ein Jäger in ihm, dem es Spaß macht, Tiere zu erlegen. Bestraft aber wird der Jude, denn dieses Märchen ist ein Beispiel für den Antisemitismus des weißen Mannes, der seine eigene Schlechtigkeit in den Juden projiziert und ihn dafür bestraft. Und der deutsche Knecht fühlt sich im Einklang mit der Natur, wenn er den Juden quält, denn zusammen mit dem Dornbusch bestraft er ihn für den Tod des Vogels. Der Jude ist ein von Dornen gemartertes Menschenopfer wie Christus mit der Dornenkrone. So empfand tief in seinem Unterbewusstsein auch der deutsche Handwerker, der in einer mittelalterlichen Stadt beim Pogrom mitmachte, so empfand der SA-Mann, der Juden schikanierte, quälte, tötete und so Selbsthass und Selbstbestrafungswünsche an seinen Opfern ausließ.

Nun zu unserem Bundespräsidenten. Die Selbstgerechtigkeit, die das Märchen atmet und mit der es den Juden im Dornbusch bestraft, erinnert mich an die Selbstgerechtigkeit, mit der jetzt lauter Moralprediger auf Wulff herumhacken. Die Hetzkampagne klagt ihn als Schnorrer an, als Kostgänger von Unternehmern, Bankern, also von Superreichen und Hochfinanz, und im FOCUS spricht ein Professor Wolfgang Hantel-Quitmann davon, dass sich der ehrbare Bürger, also der Gutmensch, für Wulff „fremdschämt“. Was bedeutet dieses neue Wort der deutschen Sprache? Schämt sich ein Sohn für seinen Vater, der sich betrunken danebenbenimmt, so sei das nicht Fremdschämen, sondern normales Schämen, weil sich der Sohn mit seinem Vater identifiziert. Empfinden wir jedoch Scham wegen Wulff, so sei dies Fremdschämen, weil wir uns nicht mit ihm identifizieren, und der Professor resümiert:

Dass wir uns für Christian Wulff fremdschämen ist also ein gutes Zeichen. Denn: „Es zeigt unsere gestiegene Sensibilität. Nur wenn die Scham funktioniert, ist die Moral in unserer Gesellschaft intakt.“

Falsch! Im Unterbewusstsein identifizieren wir uns mit Wulff, weil die Vorwürfe gegen ihn auf uns zutreffen. Im rheinischen Kapitalismus, der das Wahlvolk  am Wohlstand teilhaben lässt, schnorren wir alle auf Kosten der Natur, der Dritten Welt und unserer Enkel. Wulff ist unser Sündenbock (1). Und Sündenböcke brauchen wir, weil wir spüren, dass Schulden- und Demographiekrise uns allmählich richtig an die Substanz gehen. Dass BILD solch eine Kampagne lostritt und Wulff als Tanzbären vorführt, der sich selbst beschädigt, verwundert mich nicht. Dass seriöse Medien wie FAZ und FOCUS auf den Zug aufgesprungen sind, macht mir Angst.

1) In quantitativer Hinsicht, was das Ausmaß betrifft, ist mein Vergleich Wulffs mit den verfolgten Juden sicher ungerecht; Diskriminierung, Folter und Mord sind unvergleichlich schlimmer als verbale Attacken auf die Ehre. Grundlegend aber für das, worum es mir geht, ist das tertium comparationis, das Gemeinsame, das den Vergleich ermöglicht: Dass eigene Schlechtigkeit auf Sündenböcke projiziert wird, wodurch sich die Projizierenden entlasten und als Unschuldsengel fühlen. Andere Sündenböcke in der heutigen Wirtschaftskrise sind zum Beispiel die Rating-Agenturen. Verglichen mit den Folgejahren der Weltwirtschaftskrise, die damals Hitler an die Macht brachte, geht es bei uns zivil zu. Aber bleibt das so, wenn sich die Krise verschärft? Wissenschaftliche Erkenntnis lebt von Vergleichen, auch von riskanten Vergleichen!

Januar 2012

   
 
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