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„Die ARD macht Schleichwerbung für Fundamentalisten“, „Konvertiert die ARD zum Islam?“ hieß es auf Transparenten der Aleviten, die am 30. Dezember 2007 in Köln demonstrierten – Parolen, die ins Schwarze treffen, hat doch die Drehbuchautorin und Regisseurin Angelina Maccarone ins Horn der strenggläubigen sunnitischen Moslems gestoßen, die den liberalen Aleviten, deren Frauen sich nicht verschleiern müssen und die ihre Gottesdienste ohne Geschlechtertrennung abhalten, deshalb Sittenlosigkeit, unter anderem Inzest, vorwerfen und verfolgen, schon seit osmanischer Zeit, zuletzt 1993 durch ein Pogrom, bei dem 37 Aleviten umkamen. Ganz auf islamistischer Linie zeigt der NDR-Tatort Wem Ehre gebührt eine alevitische Familie, in der eine Tochter, die von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde, sich davor in Verschleierung und einen strengen Islam flüchtet – die Botschaft ist eindeutig: Aleviten, deren Frauen kein Kopftuch tragen, sind sittenlos und treiben Inzest, strenger Islam und Verschleierung bieten davor Schutz. Diese Verleumdung, mit der seit osmanischer Zeit Verfolgung und Pogrome gegen die Aleviten begründet wurden, hat der NDR aufgewärmt und böses Blut gemacht. Ihre Empörung haben die Angegriffenen in Köln artikuliert – das war kein Sturm im Wasserglas, wie Lale Akgün meint, türkischstämmige SPD-Abgeordnete, die offenbar etwas gegen die Aleviten hat. Und die Empörung war berechtigt. Wie damals die Empörung gegen Fassbinders Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod, in dem ein reicher Jude als skrupelloser Immobilienspekulant auftritt, eines der Klischees, mit dem die Nazis die Verfolgung der Juden rechtfertigten. Fassbinder trug es den Vorwurf des Antisemitismus ein und öffentliche Proteste haben Aufführungen des Dramas in Deutschland bis heute fast vollständig verhindert. Berechtigt war auch die Empörung über Martin Walsers Roman Tod eines Kritikers, in dem ein jüdischer Literaturkritiker Ehrl-König heißt. Der Leser soll an den Erlkönig denken, der in Goethes Ballade ein Päderast ist. Juden vergehen sich an Kindern – wer das Dritte Reich erlebt hat, kennt diese Verleumdung noch aus dem Stürmer. Die FAZ war wohlberaten, als sie sich weigerte, wie vertraglich vereinbart den Roman zu drucken.
Ein alevitischer Vater schändet seine Tochter und der strenge sunnitische Islam bietet ihr Erlösung, sie verhüllt ihre Reize, um den Vater nicht in Versuchung zu führen – Frau Maccarone, Sie haben versucht, sich in Kopftuchträgerinnen hineinzufühlen und herausgekommen ist der alte osmanische Inzestvorwurf gegen die Aleviten, deren liberale Religiosität ein vorbildlicher Euro-Islam ist. Das war ein riskanter Vorstoß, ein intellektuelles Abenteuer – altes Mädchen, du hast dir die Finger verbrannt! Aber wenn wir keine Vorstöße wagen, bleiben wir Kinder und lernen nichts dazu. Also: den Schock verarbeiten und dann ist eine Entschuldigung fällig. Und eine fundierte Darstellung des Alevitentums durch die ARD.
Eine Intellektuelle, liberale Repräsentantin der Zivilisation, finden wir auf der Linie der Islamisten wieder, die dem Westen Korrumpierung und Dekadenz vorwerfen. Kommt uns das nicht bekannt vor? Es erinnert mich an Karl May, den ich als Heranwachsender verschlungen habe. Der verderbten westlichen Zivilisation stellt er Indianer wie Winnetou entgegen, edle sittenreine Wilde. Doch er kennt auch böse Indianer, die sich vom Weißen Mann anstecken ließen, geldgierig geworden sind und Feuerwasser trinken. So gibt es offenbar auch für den NDR neben dem reinen, unkorrumpierten Islam, verkörpert durch die konvertierte und verhüllte Tochter, deren Schleier ein Schutzschild gegen die Blutschande ist, auch verdorbene Türken, Aleviten eben, die (wie der alevitische Kommissar) Schweinefleisch essen und ihre Kinder schänden. Diese Trauer um exotisches Menschentum, das sich von der westlichen Zivilisation verderben ließ, ist uralt, beginnt schon bei den Römern. So schwärmt Tacitus für die von seiner dekadenten römischen Zivilisation unverdorbenen germanischen und keltischen Barbaren und bedauert ihre Korrumpierung durch römische Herrschaft und pax romana:

Doch zeigen die Britannier mehr Wildheit, weil ja noch keine lange Friedenszeit sie verweichlicht hat; denn auch die Gallier haben sich einst im Krieg hervorgetan, wie wir vernommen haben; später drang mit der Muße Erschlaffung ein, und sie verloren mit der Tapferkeit auch die Freiheit. Dies widerfuhr auch schon den früher Besiegten unter den Britanniern; die übrigen sind noch, was die Gallier gewesen.
(11,4 – Übersetzung: R. Feger, zweisprachige Reclam-Ausgabe)

Diese Liebe zu noch nicht oder noch weniger verwestlichten Menschen, die aus einem – oft unbewussten - Hass gegen die Dekadenz der eigenen, westlichen Zivilisation fließt, lässt sich besonders bei Linken und Intellektuellen beobachten und kann Winnetou-Komplex genannt werden. Und sie erklärt, was einen bei den 68ern befremdet: heftigste Anklage der Westmächte, besonders der USA, während der Sowjetunion, Rotchina, Vietnam, Kuba, Kambodscha und heute den Muslimen Verständnis entgegengebracht wird.
Zum Beispiel Luise Rinser in ihrem Nordkoreanischen Reisetagebuch. Ach, wie sie für das von Konsum unvergiftete Leben der Nordkoreaner schwärmt. Aber nicht alle kommunistischen Länder haben sich von westlicher Dekadenz reinerhalten. Schockierend ist der Anblick sowjetischer Touristinnen, die sich in Badehose und Bikini, also kaum verhüllt, am Strand sonnen, Verkörperung westlicher Zuchtlosigkeit (Kapitel IX: Intermezzo am Drei-Tage-See). Luise Rinser teilt die Verstörung ihrer nordkoreanischen Begleiter. Es gibt verweichlichte Barbaren, blutschänderische Türken, Feuerwasser trinkende Indianer und eben auch Sittenverfall im Kommunismus. Ursprüngliche Reinheit findet man nicht mehr in der Sowjetunion oder DDR, man muss ganz weit gen Osten fahren: nach Nordkorea.
Es befremdet auch, wenn man von klugen und realitätstüchtigen Zeitgenossen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, erfährt, dass sie ein Jahrzehnt lang in der KPD/AO, in einer marxistisch-leninistischen Partei aktiv waren, in der Chruschtschow als Verräter galt, weil er sich vom reinen Sozialismus unter Stalin, als alles in Ordnung war, entfernte. Nicht wenige unserer Linken haben offensichtlich eine Affinität zum Terror, zum Beispiel zum Tugendterror. Einer der geistigen Mentoren der 68er, Herbert Marcuse, forderte die Errichtung einer Erziehungsdiktatur. Und Karl May, der romantische Vorläufer der 68er, lässt am Ende seines Romans Winnetou I sogar einen veritablen Ehrenmord an einem Indianermädchen vollstrecken, weil sie sich von den Werten ihrer Kultur abwenden und an die westliche Zivilisation assimilieren will. Dazu ausführlicher:

Nscho-tschi, Winnetous Schwester, liebt Old Shatterhand. Um ihn für sich zu gewinnen, will sie wie eine Weiße werden und dazu länger in einer US-Großstadt leben, um sich zu assimilieren. Auf dem Weg dorthin wird sie von Old Shatterhand, Winnetou und anderen Indianern begleitet.
Nun gehört zu Old Shatterhands Charakter uneingestandener Selbsthass, das quälende Schuldgefühl des weißen Mannes, der den unverdorbenen, im Einklang mit der Natur lebenden Menschen der Dritten Welt ihr Land wegnimmt und ihnen die dekadente westliche Zivilisation, den american way of life, bringt –
mehr dazu hier. Er selbst liebt sich deshalb nicht und darf auch nicht von anderen geliebt werden, schon gar nicht von einer Edlen Wilden. Dies Sakrileg aber begeht Nscho-tschi. Und will auch noch so werden wie er! Solch ein Mädchen hat ihr Leben verwirkt. Was wir heute Ehrenmord nennen, ist fällig. Ihr Bruder Winnetou aber ist von Karl May als Lichtgestalt gezeichnet. Wenn er seine Schwester umbringt, würde der Leser das nicht verstehen. Auch Old Shatterhand darf es nicht tun. Auch er ist ja eine Lichtgestalt, außerdem könnte sein Selbsthass ans Licht kommen. Unzumutbar für den Leser, der ihn anhimmelt. Also wälzt Karl May dieses Geschäft auf den Bösewicht Santer (nebst Komplizen) ab. Sie überfallen die Indianer, töten Nscho-tschi und verhindern so, dass sie die Großstadt erreicht und sich dort assimiliert.
Santer handelt als Old Shatterhands Schatten. Schatten ist ein Begriff der Analytischen Psychologie C. G. Jungs und bezeichnet diejenigen Charakterzüge, die von der Persönlichkeit abgespalten werden, weil sie nicht zu dem passen, was man sein will.
Ein Beispiel: Ein schwuler Fußballstar sonnt sich in der Vergötterung durch seine Fans. Seine Homosexualität unterdrückt er, weil sie nicht zu einem Helden passt; sie würde seine Fans vergraulen. Also darf er sie nicht ausleben oder nur heimlich, voller Angst, enttarnt oder damit erpresst zu werden, in fremden Städten. Der Schwule, der auch in ihm steckt, ist, wenn er verdrängt und nicht gelebt wird, sein Schatten.
Und bei Old Shatterhand hat Karl May alles, was seine Lichtgestalt in den Augen der Leserfans beeinträchtigen könnte, woandershin gesteckt: in Santer. Zum Beispiel die Goldgier des weißen Mannes, seinen Selbsthass, den Hass auf die Verräterin.
Ist jemand wie Karl May oder sein alter ego Old Shatterhand in seiner eigenen Seele nicht souverän, weil er einen unbewältigten Konflikt mit sich selbst hat, ist in der Regel Tabuisierung mit im Spiel und oft Schwarzweißmalerei, Einteilung der Menschen in Gute und Böse, denn das eigene Böse, der Schatten, wird auf andere projiziert, die gehasst und verteufelt werden, bei Karl May auf Santer, der den unbewussten Hass auf die Verräterin exekutierte. Auch die türkischstämmige Frauenrechtlerin Necla Kelek hat Hass auf sich gezogen. Hass linker Intellektueller, darunter sicher viele alte 68er, weil sie sich von ihrer islamischen Kultur abwendet und sich gegen sie stellt, besonders in ihrer Monographie Die fremde Braut. Ein offener Brief,
Gerechtigkeit für die Muslime, stellt sie an den Pranger. Dabei macht sie in diesem Buch im Grunde doch nur dasselbe, was die westdeutschen Linken 68 gemacht haben, als sie gegen den autoritären christlichen Vater kämpften, für die Emanzipation der Frau und gegen die sexuelle Unterdrückung der heranwachsenden Kinder. Wäre Necla Kelek ca. 1945 als deutsche Tochter in einer westdeutschen Bürgerfamilie geboren worden, hätte sie 68 zusammen mit anderen Radikalen Raubdrucke von Wilhelm Reich hergestellt und gegen die ganze autoritäre Familienscheiße gekämpft, gegen Repression durch Religion und Patriarchat. Der offene Brief Gerechtigkeit für die Muslime ist ein Fall für die Psychoanalyse. Was die Unterzeichner antreibt, lässt sich Winnetou-Komplex (1) nennen. Unbewusst hassen sie sich selbst, weil sie dekadent sind, Kinder der westlichen Zivilisation. Und sie hassen Menschen wie Necla Kelek, die ihrer vom Westen noch nicht so verdorbenen Kultur den Rücken kehrt und westlich lebt, ohne Kopftuch, als emanzipierte Frau, und das islamische Patriarchat herausfordert. Ihr lieben 68er! Wenn ihr - bewusst oder unbewusst – die Islamisierung Deutschlands und Europas herbeisehnt, weil ihr die Dekadenz des Westens, den american way of life hasst, dann steht dazu und bekennt: Ja, der Westen mit seiner Konsumkultur ist verkommen und verdient, unterzugehen! Solch eine Einstellung würde ich nicht teilen, aber auch nicht verteufeln, denn diesen Winnetou-Komplex (1) habe ich auch. Zugleich weiß ich die Freiheit, die mir der Westen bietet, zu schätzen. Und ich will wissen, woran ich mit euch bin.

1) Keine Missverständnisse! In der Umgangssprache bedeutet Komplex soviel wie Macke. Sagt man jemandem: "Du hast ja einen Mutter-Komplex!", meint man, sein Verhältnis zur Mutter sei gestört, neurotisch, krank, und die Ursache davon zumeist verdrängt und unbewältigt, so dass sie bewusst gemacht und bearbeitet werden muss. Doch ich spreche von Komplex im Sinne der Analytischen Psychologie C. G. Jungs, die darunter eine Teilpersönlichkeit versteht, die zu einer seelischen Störung führen kann, aber nicht muss. Im Text nannte ich als Beispiel den Fußballstar, der seine homoerotische Teilpersönlichkeit verdrängt, was zu neurotischem Verhalten führen kann. Aber deshalb ist der Schwule, der auch in ihm steckt, nicht per se krankhaft, schädlich, zu unterdrücken, im Gegenteil: mit einem homoerotischen Seelenanteil ist oft eine Sensibilität verbunden, die zum Wertvollsten auch eines Mannes gehören kann, auch wenn sie in der extrem einseitigen Welt des Leistungsports stört und den Fans nicht passt - doch vergessen wir nicht: Fan ist die Abkürzung des englischen Worts für Fanatiker.
Zum Winnetou-Komplex gehört das - oft unbewusste - Wissen um die Dekadenz der Welt, deren Kind man ist. Kraft dieses aus dem Unterbewusstsein stärker oder schwächer wirkenden Wissens ist man in der Dekadenz nicht völlig aufgegangen - der Winnetou-Komplex gehört zum Edelsten der menschlichen Seele.
Unterdrückt man jedoch einen Komplex, kann er zur psychischen Störung werden, neurotisches Verhalten verursachen und das Urteilsvermögen mindern - Beispiele finden sich hier.

   
 
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