Ich heiße Gert Hans Wengel, bin 1958 in Nürnberg geboren, aufgewachsen und besuchte dort das Neue Gymnasium Nürnberg. Seit 1978 lebe ich in Köln, wo ich Slawistik, Germanistik und Geschichte studiert habe.
Aus meiner Dissertation über den russischen Schriftsteller Jurij Trifonow, die wegen persönlicher und fachlicher Differenzen mit den Doktorvätern gescheitert ist, habe ich zwei Kapitel ins Netz gestellt:
"Nicht, dass wir geckenhaft genug wären, die Lebensform des Künstlers als eine unmoralische, ‘amoralische’ Lebensform, wie es zu Zeiten Mode war, der Neugier des Bürgers zu empfehlen: das Maß von persönlicher Ethik und sogar von sozialer Liebe, das einem produktiv künstlerischen Leben innewohnt, ist unter allen Umständen ein anständiges Maß, - wir wollen das stehen lassen. Aber wie Künstlertum etwas recht anderes ist, als billige Libertinage, so ist Moral etwas anderes, und zwar etwas ganz anderes, als Tugendhaftigkeit, und die Umstände zwingen uns, darauf zu bestehen, dass diese Distinktion nicht vernachlässigt werde. Der Moralist unterscheidet sich von dem Tugendhaften dadurch, dass er dem Gefährlich-Schädlichen offen ist; dass er, wie es im Evangelium heißt, ‘dem Bösen nicht widersteht’, - was der Tugendbold allewege mit dem achtbarsten Erfolge tut. Was ist das Gefährlich-Schädliche? Seelenhirten nennen es die Sünde. Aber auch dies schwere, schaudervolle Wort ist eben nur ein Wort und verschiedentlich zu gebrauchen. Es gibt Sünde im Sinne der Kirche und Sünde im Sinne des Humanismus, der Humanität, der Wissenschaft, der Emanzipation des ‘Menschen’. Auf jeden Fall ist ‘Sünde’: Zweifel; der Zug zum Verbotenen, der Trieb zum Abenteuer, zum Sichverlieren, Sichhingeben, Erleben, Erforschen, Erkennen, sie ist das Verführende und Versucherische... Diesen Trieb unsittlich zu nennen, werden nur Spießbürger sich beeilen; dass er sündig ist, leugnet niemand. [...] Ein Künstler, meine ich, bleibt bis zum letzten Hauch ein Abenteurer des Gefühls und des Geistes, zur Abwegigheit und zum Abgrunde geneigt, dem Gefährlich-Schädlichen offen. Seine Aufgabe selbst bedingt seelisch-geistige Freizügigkeit, sie verlangt von ihm das Zuhause-sein in vielen und auch in schlimmen Welten, sie duldet keine Sesshaftigkeit in irgendwelcher Wahrheit und keine Tugendwürde. Der Künstler ist und bleibt Zigeuner, gesetzt auch, es handelte sich um einen deutschen Künstler von bürgerlicher Kultur."
aus: Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen (Kapitel Von der Tugend)